From Merit with Love
October 15, 2016
„So machen wir das hier aber nicht“, sagte er, schüttelte ungläubig den Kopf und zeigte missbilligend auf meinen Bildschirm. Corpus Delicti war anscheinend der Inhalt einer Mail, die ich im Begriff war, an unser Team zu senden.
„Aha, und was genau an: ‚Hallo zusammen, … Ich freue mich auf eine gute Zusammenarbeit…‘, missfällt dir?“ „Das ‚liebe Grüße‘, das machen wir hier nicht, das ist unprofessionell.“ Oha, erster Projekttag, erstes Fettnäpfchen, erster Eindruck: unprofessionell. Mist.
Ich war irritiert. Hat er das tatsächlich ernst gemeint? Hat er! Ich war beleidigt. Hat er sie noch alle? Anscheinend nicht. Stärke zeigen, Merit - kontern, aber schnell. Und so hörte ich mich mit fester Stimme sagen: „ICH mach das aber so, gewöhnt euch dran.“ Klick. Gesendet.
Cool, cooler, Merit – jedenfalls für den Moment. Wenn eine Irritation allerdings erst einmal auf den fruchtbaren Boden meiner gekränkten Eitelkeit gefallen ist, schießt sie wild ins Kraut, wird übergriffig und fängt an, mein Selbstbewusstsein sukzessive zu untergraben.
Gleicher Tag, nächste Mail: Boah ey, wie schreib ich das denn jetzt? Sind ‚liebe Grüße‘ im beruflichen Kontext tatsächlich zu persönlich, vielleicht sogar aufdringlich? Oder schlimmer noch: so ein Gender-Ding?
In der Tat finde ich in meinem Postfach weniger ‚liebe Grüße‘ von Männern als von Frauen. Wundert mich aber nicht wirklich und deckt sich mit meinen Erfahrungen. Das ‚starke Geschlecht‘ hinterlässt im Zweifelsfall lieber einen unterkühlten, unnahbaren Eindruck und nennt das dann fatalerweise ‚professionell‘. Schon der Verdacht auf Emotion ist mit Schwäche konnotiert. Elementarer Fehler, wenn man(n) mich fragt, und erst recht kein Grund, gleich unhöflich zu werden.
Aber ehrlich gesagt, bedenke ich bei weitem nicht alle ‚lieben Kollegen‘ mit ‚lieben Grüßen‘. Wo genau mache ich da eigentlich Unterschiede? Wichtig: Ich muss die Menschen, denen ich schreibe, persönlich kennen. Und wie von selbst entweicht mir ein ‚lieber Gruß‘, wenn mich mit dem Adressaten etwas verbindet, wenn wir zum Beispiel bereits gemeinsam etwas erarbeitet oder erkämpft haben. ‚Liebe Grüße‘ gibt es nur auf Augenhöhe. Das heißt, eine mir unbekannte bzw. zu recht oder unrecht höhergestellte Person würde ich definitiv nicht auf diese Weise grüßen.
Also doch lieber ‚viele Grüße‘. Obwohl… warum eigentlich viele? Ist ein Vielfaches an Grüßen wirklich galanter als ein Gruß allein?
Wie steht’s mit ‚beste Grüße‘? Klingt bei genauerer Betrachtung jetzt irgendwie großmäulig, als wäre gut nicht gut genug.
Dann vielleicht besser ‚freundliche Grüße‘? Aber ist diese Kombi nicht redundant? Mal ehrlich, wer versendet denn ‚unfreundliche Grüße‘? Da käme die Gesinnung des Absenders doch in schlimme Orientierungsnot.
Abschließend drängt sich mir noch die Frage auf, ob Grüße im herkömmlichen Sinne ‚schön‘ sein können? Ja, natürlich! Vorausgesetzt, der Absender von ‚schönen Grüßen‘ hat die hässlichen im Vorfeld gewissenhaft entsorgt. Versteht sich von selbst, ne?
Wenn all diese Adjektive also ohne tieferen Sinn und unüberlegt angeflanscht werden, warum belasten wir das Grüßen dann überhaupt mit derartigen Zusätzen? Was spricht gegen einen kurzen, formlosen‚ einfachen Gruß?
Fakt ist, dass ein Gruß unter einer Mail selten allein daherkommt. Und wenn doch… dann frage ich mich ehrlicherweise schon mal, ob ich irgendetwas gesagt oder getan habe, was den Absender zu dieser Provokation veranlasst haben könnte.
Im Privaten ist es noch schlimmer. Da kann es passieren, dass eine Freundin völlig aufgelöst vor meiner Tür steht, weil ER in der letzten Mail ‚viele Grüße‘ geschrieben hat. In der Nachricht davor waren es noch ‚viele liebe Grüße‘. Das lässt Raum für üble Spekulationen, Männer. Drei Stunden und zwei Flaschen Rotwein später sind wir uns sicher, dass er sie ausnutzt hat und im Grunde seines Herzens sowieso ein echter Blödmann ist.
Derartig fatale Schlussfolgerungen erlaube ich mir im beruflichen Umfeld zwar selten aber die keimende Verunsicherung brach sich nach besagtem Vorfall ungehindert weiter bahn.
Recherche tat Not. Und siehe da, das Grüßen hat nicht nur Geschichte sondern auch Methode. Und es ist tatsächlich so ein Gender-Ding, jedoch, man(n) höre: männlich konnotiert.
In der Ritterzeit konnte der Gruß gar nicht überschwänglich genug sein, um sich des gegenseitigen Wohlwollens zu vergewissern. Mittelalterlicher Anstand gebot: je unterwürfiger desto besser. Dieses Vorgehen zollte dem Gegrüßten nicht nur Respekt, sondern diente auch als eine Art „Nichtangriffspakt“ und schuf somit die Grundlage für Sicherheit und Vertrauen. Ein verhaltener oder gar verweigerter Gruß tastete die Ehre des Ritters dagegen empfindlich an und führte zwangsläufig zum Duell.
„Mit größtem Respekt und bewundernder Hochachtung verbleibe ich in demütiger Hoffnung“, war noch weit ins letzte Jahrhundert eine übliche Floskel am Ende offizieller Korrespondenzen. Dass das heftig übertrieben und bisweilen sogar gelogen war, tat nichts zur Sache. Angedeutete Wertschätzung und Verbundenheit sollten den Schein wahren - auch oder grade wenn die vorausgegangene Botschaft eine diametrale Intention barg.
Schmückende Adjektive scheinen in unserem schnelllebigen Kommunikationszeitalter also nichts anderes zu sein als antiquierte Überbleibsel längst hinfälliger Konventionen. Und die chattende Jugend dürfte selbst das nur noch extrem peripher tangieren.
Laut Wikipedia spricht übrigens rein gar nichts gegen ‚liebe Grüße‘ im dienstlichen Rahmen, sie gelten als freundschaftliche Geste ebenso wie ‚schöne oder herzliche Grüße‘. Wer neutral bleiben möchte, grüßt mit vielen, besten oder freundlichen Ambitionen.
Ich gestehe, das oben genannte Intermezzo hat mir des Grußes Leichtigkeit geraubt. Die will ich aber zurück. Ich will auch in Zukunft unbekümmert meiner altmodischen Attitüde frönen. Und so versende ich hiermit öffentlich ‚liebe Grüße‘ an alle, die mich kennen – Herren ausdrücklich inklusive.